Kunst statt Knast

Kunst statt Knast

Leiter Andreas Hett und Regina Planz in Oberursel in der Werkstatt, einer alten Halle der Feldbergschule am Rushmoor-Park. Foto © Rolf Oeser

Von Jürgen Streicher, Frankfurter Rundschau 12.Oktober 2020

In einer Bildhauerwerkstatt arbeitet Andreas Hett mit straffälligen Jugendlichen. In 20 Jahren haben die „Kunsttäter“ ihre Spuren im Hochtaunus hinterlassen.

Andreas Hett sieht die „ersten Jungs“ noch heute vor sich. Junge Kerle, manche durch irgendeinen Blödsinn straffällig geworden, auch ein paar „harte Jungs“. Die Werkstatt im Umspannwerk am Zimmersmühlenweg in Oberursel hat sie vor dem Knast bewahrt. Hier durften sie zu „Kunsttätern“ werden. Die Idee von Sozialarbeiter und Kunsttherapeut Andreas Hett wurde von der Jugendgerichtshilfe des Hochtaunuskreises, vom Amtsgericht Bad Homburg und auch von der Bewährungshilfe beim Landgericht Frankfurt positiv aufgenommen. Längst gilt die Werkstatt hessenweit als Erfolgsmodell. Statt etwa in Altersheimen arbeiten straffällig gewordene Jugendliche ihre aufgebrummten Stunden in der Kunstwerkstatt ab.

Ein sehr unstetes Publikum

Einer der ersten „Kunsttäter“ aus dem Sommer 2000 ist jetzt knapp 40 Jahre alt. Andreas Hett erinnert sich genau, wie er in der ziemlich nieder gerockten alten Maschinenhalle Leitungen gelegt, gelötet, gestrichen, eine Toilette gebaut hat. Freiwillige Extraarbeit, eigentlich sollte es hier um Kunst gehen. Für M. war das Handwerk ein Weg zur Kunst und zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Heute ist er Pflegedienstleiter in einem Seniorenheim und auch Betriebsratsvorsitzender.

Ein „tolles Beispiel“ ist er für Hett, eines das hängenbleibt, noch heute kommt M. bei Gelegenheit vorbei. „Die behalten uns meist in guter Erinnerung“, sagt auch Regina Planz, die Künstlerin, die mit Hett das Projekt „Kunsttäter“ aufgebaut hat.

Um die 800 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 22 Jahren haben in den 20 Jahren in der Bildhauerwerkstatt gearbeitet. „Ein sehr unstetes Publikum“, so Hett mit Blick auf das nicht immer regelmäßige Erscheinen. Manch einer aber wäre gerne auch länger geblieben, manche kamen wieder. Bei vielen steht die Zeit in der ehemaligen Autoschlosserei der Feldbergschule, die seit 2006 Heimat der „Kunsttäter“ ist, für einen Wendepunkt. Hier schaffen sie nach eigenen Ideen Kunstwerke aus Stahl, Holz und Stein, Werke, die Teil öffentlicher Kunst in Oberursel werden. Wie „Der Verdrehte“ etwa, der je nach Blickwinkel böse oder freundlich guckt.

Es sind die zwei Seiten, die irgendwie in jedem stecken. Aus einer Taunuseiche ist beim Verdrehten ein 700 Kilogramm schweres Zeugnis der Schnitzkunst geworden, zwei Meter hoch und lange Zeit gut sichtbar aufgestellt im Rushmoor-Park. Im Wohnquartier Camp King stand lange ein Holzdrache, bis der Zahn der Zeit ihn zernagte. Eine Arbeit vieler, noch eine Idee der künstlerischen Resozialisierung. Durch kreative Arbeit sich selbst ein neues Gesicht geben. Mit künstlerischer Arbeit Spuren hinterlassen, kulturellen Wert, etwas, das man stolz Freunden zeigen kann. Werke, die sogar verkauft werden, eine aus Speckstein herausgearbeitete Red Bull-Dose hat es bis ins Silicon Valley schafft.

Ein Wort, das im dicken „Gästebuch“ der Werkstatt immer wieder und oft als abgeschlossener Beitrag auftaucht, ist „Danke“. Mehr nicht und doch so viel, gereift zwischen dem greifbaren Material und dem plötzlich ebenso greifbaren Ich, das eine Richtung gefunden hat. In der Kunsttäter-Werkstatt. Hett (56) spricht vom „Findungsprozess im absolut entschleunigten Raum“.

„Jeder darf hier ankommen“,

sagt Regina Planz (57). Vielleicht wird es den 25. Geburtstag der Kunsttäter, seit neun Jahren ein eingetragener Verein, in der aktuellen Konstellation noch geben, wenn die finanziellen und ideellen Unterstützer, darunter das Land Hessen, Kommunen, Stiftungen und private Sponsoren, bei der Stange bleiben. Danach wird sich das Gründer-Duo verabschieden, der Abstand wird halt immer größer. Ihre Koordinaten haben das Team und die Akteure Murat, Daniel, Meike, Stefanos und weitere mit dem jüngsten Werk hinterlassen, der GEO-Nadel auf dem Bahnhofsvorplatz Oberursel. B: 50° 11‘ 55.3‘‘, L: 8° 35‘ 10.0‘‘, klar vermerkt auf der Tafel zum Kunstwerk.

Ausstellung

Von 17. Oktober bis 8. November sind Skulpturen und Plastiken sowie Arbeiten der Kunsttäter aus 20 Jahren in der Bad Homburger Galerie „Artlantis“, Tannenwaldweg 6, zu sehen.

Die Vernissage entfällt aufgrund von Corona, auch die im Rahmen der Bad Homburger Kunstnacht geplante 20-Jahr-Feier. Öffnungszeiten sind Fr. 15 -18 Uhr, Sa. und So. 11-18 Uhr, am Sa. 24. 10. bis 21 Uhr. Angeboten werden Führungen in kleinen Gruppen, Anmeldung unter E-Mail: andreashett@onlinehome[dot]de.