Vom Täter zum Künstler
Taunuszeitung, 07.08.2014 von: Jana Kötter
Stahl, Holz, Ytong, Ton: Die Materialien, aus denen die Kunstwerke gefertigt sind, sind so individuell wie die Künstler, die von heute an im Kulturzentrum Englische Kirche ausstellen. Was sie alle gemeinsam haben? Eine schwierige Vergangenheit.
Erhaben überschaut er die Ausstellung. Silbrig-schimmernd, ernst blickend, einsam in seiner Glasvitrine – doch dabei ist es der aus Ton geformte Kopf gar nicht. Er ist umgeben von seinesgleichen, von anderen ausgefallenen, einmaligen und manchmal auch verrückten Skulpturen. Da ist, ganz in seiner Nähe, ein Metall-Krieger, daneben eine Seifenkiste aus alten CDs. Auf der anderen Seite des Raumes steht ein Stück Holz, auf das „Freiheit“ eingebrannt ist.
All diese Werke, die von heute an im Kulturzentrum Englische Kirche zu bestaunen sind, erzählen aus einem Leben, das nicht immer einfach war – in dem mindestens ein großer Fehler begangen wurde. Jugendliche Straftäter, die zu Sozialstunden verurteilt wurden, haben sie gestaltet. So wie der Jura-Student, der auf die schiefe Bahn geriet ist und den silberfarbenen Kopf nach einem Portrait seines Onkels formte.
In der Bildhauerwerkstatt „Kunsttäter“ können 14- bis 21-Jährige diese Sozialstunden abarbeiten – und ihre Tat so auf ungewohnte Weise reflektieren. „Anfangs finden es viele ganz furchtbar, Kunst machen zu sollen“, sagt der Kunsttherapeut und Diplom-Sozialarbeiter Andreas Hett (50), der das Projekt vor 14 Jahren ins Leben rief. „Doch irgendwann erreichen sie einen Wendepunkt, werden offener und spüren letztlich sogar das erste Mal richtigen Stolz, wenn sie ihr fertiges Kunstwerk in den Händen halten.“ Mehr als 450 Jugendliche aus dem Hochtaunuskreis haben die Werkstatt bisher besucht.
Heraus kommen dabei auch skurrile Motive wie etwa der Panda, der einen Joint raucht. „Wir geben nichts vor“, sagt Hett. „Was immer die Jugendlichen zum Ausdruck bringen wollen, dürfen sie auch“, sagt die freischaffende Künstlerin Regina Planz (51), die das Projekt gemeinsam mit Hett betreut. Zum Ende der Ausstellung werden die Werke versteigert, um mit den gewonnenen Geldern das Projekt weiterhin zu finanzieren.
Bei den „Kunsttätern“ geht es dabei nicht um die Tat. „Wir wissen nicht, weshalb die Jugendlichen hier sind“, sagt Hett. „Und wir fragen niemals danach. Wenn sie selber sprechen möchten, dann dürfen sie das natürlich – aber für uns spielt die Tat keine Rolle.“ Manche der jungen „Kunsttäter“ verbringen nur das gesetzliche Minimum von zehn Sozialstunden bei ihnen, andere bis zu 200.
Die Vernissage zur Ausstellung findet heute (Freitag) ab 19 Uhr im Kulturzentrum Englische Kirche, Ferdinandsplatz, statt. Danach sind die Werke dienstags bis freitags von 16 bis 19 Uhr
In dieser Zeit erhalten die Jugendlichen eine einmalige Chance, ihre Tat zu verarbeiten. Nicht selten sieht man das auch in den Werken: So hat der Jura-Student neben dem Abbild seines Onkels einen weiteren Kopf gestaltet: Er liegt am Boden und blutet. „Wie kaum ein anderes Medium schaffen es die Skulpturen, den Gedanken der Jugendlichen ein Gesicht zu geben“, sagt Hett. „Die Kunst eröffnet den jungen Straftätern die Möglichkeit, auszusprechen, was sie sonst nie sagen würden.“
Foto: Privat